· 

Bauschutt und Beethoven

Einblicke in das Leben eines in der Wolle gefärbten Juristen



Professor Karsten Schmidt ist im letzten Januar 80 Jahre alt geworden. Als Mitglied des Vorstands und des Kuratoriums der ZEIT-Stiftung hat er die Gründung der Hochschule mitbetrieben und sie seit 2004 als Hochschullehrer, davon acht Jahre als Präsident, ganz maßgeblich geprägt. Wir Alumni haben von ihm in seinen Vorlesungen nicht nur juristische Inhalte, sondern auch viel über Kunst, Musik und Geschichte gelernt. Mit seiner Freude am Querdenken und Diskutieren – und das zu jeder Tages- und Nachtzeit – ist er ein Vorbild für viele Studierende und Alumni. Wir gratulieren dem Jubilar ganz herzlich und freuen uns sehr, dass Herr Schmidt uns im Rahmen eines Ende Oktober geführten Interviews persönliche Einblicke in seinLeben an und außerhalb der Hochschule gewährt hat.

 

Karsten Schmidt – vom Studenten zum Professor

 

Ich habe meine Studentenzeit an den Universitäten Kiel und München sehr genossen. Die akademische Ausbildung war um einiges freier als das heutige Studium und so war ich in den Anfangsjahren in zwei Fakultäten zugleich eingeschrieben: der geisteswissenschaftlichen und der juristischen. Am juristischen Studium hat mir besonders gefallen, dass es intellektuell fordernd ist und neben seiner theoretischen Dimension einen unverkennbaren praktischen Nutzen hat. So habe ich mich schließlich für einen rechtswissenschaftlichen Abschluss entschieden. Auch meine Examensvorbereitung war weit weniger strukturiert als die der gegenwärtigen Studenten. Damals gab es noch keinen festen Prüfungskanon und so hatte ich bis zum Schluss nur eine vage Vorstellung von dem, was mir die Prüfung konkret abverlangen würde. Dennoch habe ich kein Repetitorium besucht, sondern meine Lernunterlagen selbst geschrieben. Kurz vor dem Examen bin ich nach Sankt Peter-Ording gefahren, habe einen Strandkorb gemietet und darin meine selbst erstellten Skripte durchgelesen. Die Inhalte kannte ich natürlich schon, aber das Wiederholen hat mir Freude bereitet.

 

Rückblickend halte ich sowohl mein Studium als auch meine Tätigkeit als Professor für einen echten Glücksfall! Ich denke, diese Freude und Begeisterung merkt man mir auch an. Dabei war ich am Anfang gar nicht so sehr auf die Universität festgelegt. Vielmehr stand ich, als ich nach Bonn zum Habilitieren ging, kurz vor der Anwaltszulassung und arbeitete in einer Anwaltskanzlei. Während meines Studiums hatte ich mit dem Beruf des Journalisten geliebäugelt. Persönlichkeiten wie die Gräfin Dönhoff haben mir damals schon sehr imponiert. Natürlich ahnte ich nicht, dass ich sie und Gerd Bucerius einmal so aus der Nähe erleben würde. Am Ende bin ich aber doch ein ziemlich in der Wolle gefärbter Jurist geworden.

 

Den Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen verlieren

 

Neben der Rechtswissenschaft spielen Musik, Kunst und Literatur eine große Rolle in meinem Leben – und zwar keinesfalls nur als Zeitvertreib! Meiner Meinung nach sollte man sich als Jurist nicht kleinlich in den Winkeln des Rechts verlieren, sondern die Dinge in ihrem Zusammenhang betrachten. So ist es etwa kein Zufall, dass so viele Ausdrücke aus dem Bankrecht, wie Giro, Konto oder Storno, aus dem Italienischen kommen. Wenn wir bei einem Spaziergang durch Florenz über Paläste und über Skulpturen von Michelangelo staunen, dürfen wir auch daran denken, wie diese Werke finanziert wurden. Die Renaissance ist neben ihrer kunst- und geistesgeschichtlichen Bedeutung eben auch eine Epoche, in der die Menschen auf neue Weise gelernt haben, mit Macht und mit Geld umzugehen. Dazu wurden die Banken erfunden.

 

Im Übrigen: Wenn ich während meiner Arbeit Beethoven höre, dann ist das nicht bloße Berieselung. Vielmehr fühle ich mich, als hätte ich einen starken Freund neben mir, ein großes Hirn, das mir bei der Arbeit zur Seite steht. Das Hard-Rock-Gewummer, das ich zeitweise vom Campus aus höre, taugt hingegen wenig als Inspirationsquelle. Thomas Mann hat einmal einen Essay mit dem Titel „Meerfahrt mit Don Quijote“ geschrieben. Er beschreibt darin tagebuchartig seine Atlantiküberquerung, damals natürlich mit einem Ozeandampfer und – wie der Titel verrät – mit tausend Seiten Weltliteratur. Der große Reisende stellt mit Verwunderung fest, dass sich die Fahrgäste allesamt mit einfältiger Lektüre begnügen, und fragt sich, warum den Leuten so etwas zur Entspannung ausreicht. Ich gebe ihm Recht.

 

Eine weitere liebgewonnene Tradition ist das jährliche Tennisdoppel zwischen Professor Hilf und mir auf der einen und den Professoren Sünder und Fehling auf der anderen Seite. Seit wir einmal vor etwa zehn Jahren nahe dem Rothenbaum einen Hallenplatz und gegeneinander Tennis gespielt hatten, wurde das Treffen zu einem spätsommerlichen Jahresereignis … mit wechselnden Ergebnissen übrigens, aber mit anhaltendem Vergnügen.

 

Gerd Bucerius und sein Blick auf die Bucerius Law School

 

Ich kannte Gerd Bucerius zunächst als eine Person des öffentlichen Lebens. Die ZEIT wurde bei uns zu Hause immer gelesen. Persönlich habe ich ihn durch eine Rechtsfrage kennengelernt, die er mir gestellt hat. Es war eine Gestaltungsfrage, die sein Unternehmen – die ZEIT – betraf. Er fand seine Frage schwierig, aber ich habe geantwortet: „Ich halte die Frage für einfach, und wenn Sie das Resultat lesen, dann werden Sie zustimmen.“ Was er gelesen hat, hat ihm wohl gefallen und wir haben uns danach immer wieder gesehen. Im Verlagshaus der ZEIT, bei ihm zu Hause und später in der ZEIT-Stiftung. Ich glaube, wir haben uns gemocht. Er selbst war ein quirliger, aber auch ein sehr fordernder, bisweilen geradezu anstrengender Mann. Sein Gegenüber interessierte ihn, wer immer das war, sehr, jedoch fühlte man sich manchmal wie bei einer Vernehmung. Zu vielen Fragen hatte er dezidierte Positionen … und bei aller Lebhaftigkeit stets einen strengen Blick – viel strenger als in der Zeichnung auf dem Titelblatt dieser Zeitschrift.

 

Über die Gründung einer privaten Hochschule für Rechtswissenschaft haben wir nie gesprochen. Wenn er die Hochschule heute sehen könnte, wäre er begeistert und kritisch zugleich – er konnte gar nicht anders sein. Gerd Bucerius war, was seine spontanen Äußerungen betraf, ein wenig unberechenbar, dies aber in allerbestem Sinne! Vielleicht hätte er von uns auch, wenn er einmal an einer Senatssitzung teilgenommen hätte, gesagt: „Komische Leute sind das.“ Das wissen wir nicht. Aber per saldo wäre er, denke ich, sehr zufrieden. Der Geist, der hier herrscht und dass man ohne Gängelung durch Ministerien oder Senatoren den Stil der juristischen Ausbildung verändert, das hätte ihm sicher zugesagt.

 

Gründung der Bucerius Law School und Veränderungen als stetiger Begleiter

 

Die Gründung der Hochschule lässt sich auf ein Datum zurückführen: den 16. März 1997, wenn ich mich richtig erinnere. Die Hamburger Universitäten verloren in dieser Zeit aufgrund struktureller Schwächen und personeller Abgänge bedrohlich an Boden. Deswegen rief der damalige Bürgermeister, Henning Voscherau, einen Kreis von Personen zusammen, mit denen er über den Wissenschaftsstandort Hamburg diskutieren wollte. Mit in der Runde waren Vorstands- und Kuratoriumsmitglieder der ZEIT-Stiftung, darunter Herr Dr. Asche, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Holstein Brauerei und Präses der Hamburger Handelskammer. Herr Asche brachte ganz plötzlich den Gedanken ein, dass Hamburg eigentlich eine international geprägte Law School bräuchte und dass die ZEIT-Stiftung sich da einbringen könnte. Das war eine Spontanäußerung, aber sofort spitzten einige Anwesende die Ohren und von da an ging es rasend schnell weiter.

 

Drei Jahre nach diesem Geistesblitz, im Herbst 2000, wurde die Hochschule eröffnet. Die Jahreszahl war kein Zufall. Wir wollten, dass das Gründungsjahr ein „Big Bang“-Datum ist. Die Hochschule und ihr Campus sahen damals noch nicht so wie heute aus. Ganz im Gegenteil! Teilweise sah es ziemlich rumpelig aus. Im Zuge der Kernsanierung wurden hin und wieder Wände eingerissen und während der Vorlesung hörte man, wie Bauschutt hinunterfiel. Das gehörte zum Hochschulalltag. Später erst entstanden das Auditorium und die Bibliothek, und bis heute blieb der Campus in Bewegung, wie man in diesem Jahr am Dachboden im Südflügel sieht. Für die Studiengänge war die Einführung des Masterprogramm, das ich besonders schätze, eine große Veränderung. Die Hochschule konnte Professor Larsen für die Leitung gewinnen. Von unschätzbarem Nutzen für den Zuschnitt des Programms ist auch bis heute das große Netz an Partneruniversitäten, das unser Gründungspräsident Professor Kötz mit seinen transkontinentalen Kontakten geflochten hatte.

 

Als letzte größere Neuerung ist die Einführung des Promotionsprogramms zum Promovieren zu nennen, das die Arbeit des wissenschaftlichen Nachwuchses strukturieren und modernisieren soll. Wobei man sagen muss, dass wissenschaftliches Arbeiten eigentlich eine ziemlich einsame Tätigkeit ist, bei der man nicht mit vielen Kommiliton(inn)en zusammensitzt und fachlich plaudert. Hein Kötz, unser Gründungspräsident, sprach oft von der kreativen Einsamkeit mit dem Buch. An dieser Einsicht hat sich über die Zeit nicht viel verändert.


Lale Meyer (Jg. 2012)

Constantin Glaesner (Jg. 2012)


Kommentar schreiben

Kommentare: 0