Besuch bei Professorin König
„Das werde ich Ihnen bestimmt nicht verraten!“, antwortet Frau König lachend auf unsere Frage, wer aus dem ehemaligen Kollegenkreis an der Bucerius Law School ihr den meisten „Gossip“ aus Hamburg berichtet. Im Licht der letzten Sonnenstrahlen des Jahres sitzen wir mit der ehemaligen Präsidentin der Bucerius Law School und heutigen Bundesverfassungsrichterin in einem Café im botanischen Garten, der das Bundesverfassungsgericht umgibt. Es handelt sich um eine der schönsten Ecken in Karlsruhe, erzählt sie. Selbst habe sie jedoch leider nur wenig Zeit, dessen Vorzüge zu genießen. Die Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht unterscheide sich von der Belastung her nicht großartig von derjenigen in ihrer Zeit an der Law School. Sie habe sehr viel Arbeit, die allerdings zusätzlich mit besonderer Verantwortung verbunden ist: „Hier entscheiden wir über menschliche Schicksale.“
Was die Öffentlichkeit mitbekommt, macht dabei nur den allerkleinsten, wenn auch den allerwichtigsten Teil der Arbeit der Bundesverfassungsrichter/-innen aus. „Weit über 90 Prozent der Verfassungsbeschwerden sind schon unzulässig und wir nehmen sie nicht zur Entscheidung an.“ Der übrige Anteil – die sogenannten Stattgaben – gliedert sich in Kammerentscheidungen, die von der mit drei Richter/-innen besetzten Kammer verhandelt werden, sowie Senatsentscheidungen. Die Besonderheit an letzteren ist, dass die Fälle eine neue Rechtsfrage aufwerfen, weshalb sie der gesamte, acht Richter/-innen umfassende Senat entscheiden muss. In all diesen Verfahren werden die Richter/-innen von vier Wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen unterstützt, was Frau König als „kleinen Lerhstuhlersatz“ empfindet.
Als wir Frau König in ihrem Büro treffen und sie uns mit einem herzlichen Lachen willkommen heißt, fällt uns sofort wieder auf, wie würdevoll ihre Erscheinung ist. Ihre große, schlanke Figur und ihr aufrechter Gang wirken elegant und werden von einer feinen Goldkette und ihrem farblich darauf abgestimmten Haar perfekt ergänzt. Unser Fotograf erzählt später, dass es ihm selten so leichtgefallen ist, gute Bilder zu machen – Frau König sei eine überaus charismatische Persönlichkeit.
Eine schräge Zeit
Professorin Doris König hat ihre ersten beiden Staatsexamina sowie einen Master of Comparative Law zwischen 1975 und 1986 abgeschlossen. Nach ihrer Promotion 1989 war sie drei Jahre lang als Richterin am LG Hamburg tätig, ehe sie sich von 1992 bis 1998 an der Universität Kiel habilitierte. Auf einige Lehrstuhlvertretungen folgte im Jahr 2000 die Berufung an die Bucerius Law School. Mit anderen Worten: Frau König ist ein Mitglied der ersten Stunde unserer Hochschule, hat bis zu ihrer Berufung an das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 die Entwicklung der Bucerius Law School miterlebt und mitgestaltet.
Doch wie waren die ersten Jahre an einer aus dem Boden gestampften Universität, deren Zukunft sich zu Beginn nicht absehen ließ? „Ja, es war wirklich Pionierzeit!“, antwortet Frau König und hat dabei ein Leuchten in den Augen, das sie uns umgehend als „ein Zeichen von Alter“ beschreibt, nämlich die nachträgliche Begeisterung für Zeiten, in denen Dinge aufgebaut wurden. „Wir haben viel ‚Trial and Error‘ gemacht“, erzählt sie. Jede/r Professor/-in leitete zu Beginn eine Kleingruppe, was sich mit zunehmender Belastung nicht mehr durchhalten ließ. Aber auch deshalb, erklärt Frau König, kenne sie die Studierenden aus den ersten zwei, drei Jahrgängen am besten. Auch ihre schönste Law School-Erinnerung fällt in diese Zeit: „Die erste Weihnachtsfeier! Die war noch im Container! Da haben wir getanzt und irgendjemand hat den Diskjockey gemacht. Wir waren ja auch nur eine kleine Gruppe: fünf Professoren, einige Verwaltungsmitarbeiter und eben der erste Jahrgang! Die waren ja auch Pioniere. Ich weiß noch, dass während der ersten Hausarbeitenphase im Frühjahr 2001 die Heizung in der sogenannten Pavracke (zusammengesetzt aus Pavillon und Baracke) ausgefallen war und die Leute da in ihren Winterjacken gesessen haben, weil sie natürlich an die Bücher ranmussten.“ Sie selbst habe zwischenzeitlich mit Herrn Fehling einen als Büro dienenden Container auf dem Campus geteilt, was man sich, so Frau König, heute, wo alles tiptop sei, überhaupt nicht mehr vorstellen könne. „Das war schon eine schräge Zeit.“
Aus dieser Zeit stammt auch die kleine Anekdote, die uns Frau König erzählt: Damals ist sie sehr häufig mit Professor Fehling in der Coffee Lounge (die damals noch als Mensa diente) zum Mittagessen gegangen. Als Herr Fehling einmal nicht da war, wurde sie von der Verkäuferin in der Coffee Lounge gefragt: „Ach, haben Sie Ihren Chef heute gar nicht dabei?“ „Das war so witzig“, freut sich Frau König nachträglich über diese skurrile Situation und lacht dabei herzlich. Gleichzeitig legt diese Anekdote natürlich den Finger in die Wunde hinsichtlich eines bedeutenden gesellschaftlichen Themas unserer Zeit, das identisch mit der Antwort von Frau König auf unsere Frage nach ihrem Lieblingsgrundrecht ist: „Artikel 3 Absatz 2, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, na logo!“ Ein Feld, bei dem sie auch ihre ehemalige Hochschule nicht ausnimmt. Insbesondere bei der Zusammensetzung des Professoriums sieht sie Nachholbedarf. Auf dem steinigen Weg in die Wissenschaft möchte sie Frauen ermutigen, sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen.
Erfolgreich und bodenständig
Seit Mitte 2014 ist Frau König also Bundesverfassungsrichterin. Ob sie das schon immer werden wollte oder es sogar ein Ziel war? „Nein, das wäre glaube ich etwas vermessen.“
Wir sprechen über die Würde des Amtes als Bundesverfassungsrichterin sowie die Wahrnehmung durch das soziale Umfeld und fragen dann – mehr zum Spaß – ob sie noch nie um ein Autogramm gebeten worden sei. „Doch, doch“, antwortet sie gleich, sieht uns die überraschte Heiterkeit an und fügt hinzu: „Es kommen immer mal wieder Autogrammwünsche. Aber das mache ich nicht, denn man kann heute alles einscannen und wer weiß, wo die Unterschrift dann bleibt und was damit passiert. Das ist das eine. Und zum anderen mache ich das ganz bewusst: Ich bin kein Star! Ich habe zwar ein hohes Staatsamt inne, aber ich bin nicht jemand, der Autogramme gibt. Das sollen Stars und solche, die sich dafür halten, machen, aber das ist nicht meins.“ Das zeigt, wie bodenständig Frau König trotz ihres beruflichen Erfolgs geblieben ist. In ihrer Freizeit geht sie am liebsten gemeinsam mit ihrem Mann wandern – „hier im Schwarzwald oder im Elsass.“ Was sie mitnimmt, wenn sie über das Wochenende nach Hamburg zu ihrem Mann fährt? „Ein Votum, das Grundgesetz und eine Flasche Wasser; und dann ist da auch ein Haushalt, wo man dies und das machen muss.“ In Karlsruhe lebt sie in einer „Arbeitswohnung“, die nur drei Gehminuten vom Gericht entfernt liegt und von Verfassungsrichter/-in zu Verfassungsrichter/-in „vererbt“ wird – „eine ganz große Erleichterung!“
Frau König hat einen äußerst vollen Terminkalender. Für unser Treffen haben wir zwei Stunden veranschlagt. Zwei Minuten vor deren Ende fügt sie der Antwort auf eine unserer Fragen hinzu: „So, meine Herren, so langsam muss ich auch wieder zurück ins Büro.“ Ihr Tag ist durchgetaktet. Der Workload als Bundesverfassungsrichter/-in lässt sich ohne ein gehöriges Maß an Disziplin nicht stemmen, doch das ist für Frau König kein Problem.
„Macht das, was Euch Freude bereitet, da seid Ihr am besten!“
Dennoch berichtet sie uns, dass auch ihre Juralaufbahn nicht stromlinienförmig verlaufen ist: „Ich hatte einen Durchhänger im vierten Semester und war eigentlich drauf und dran, das Studium zu schmeißen, weil ich es irgendwann unglaublich trocken fand. Ich habe mich wirklich schwergetan.“ Sie dachte sich: „Du musst jetzt irgendwas machen, das dir dieses Studium interessanter macht!“ Und das tat sie: Frau König übernahm eine Hiwi-Stelle am Institut für internationales Recht. „Das hat mein Leben stark beeinflusst und da hat es mir total Freude gemacht.“ Sie entdeckte ihr Faible für das Völkerrecht: „Ich fand das Völkerrecht immer so spannend, weil es ein unfertiges Recht ist, weil es sich ständig entwickelt. Es lässt sich nicht in eine bestimmte Richtung beeinflussen, aber seine Entwicklungen lassen sich beobachten und nachzeichnen.“ Bei ihrer Promotion versuchte Frau König zunächst, aus „taktischen Gründen“ ein interessantes Thema im Verwaltungsrecht zu finden. Nach wenigen Monaten gab sie dieses Unterfangen jedoch auf und promovierte im Völkerrecht, was ihr deutlich leichter fiel, da sie endlich Spaß an ihrem Thema gefunden hatte. So lautet auch ihr Ratschlag: „Macht das, was Euch Freude bereitet, da seid Ihr am besten.“
Nicht ungewöhnlich ist angesichts Frau Königs Begeisterung für das Völker- und Seerecht auch, dass sie sich als glühende Europäerin versteht. Zum Miteinander auf europäischer Ebene sagt sie: „Es ist sehr wichtig, dass Ihre Generation diesen Stab aufnimmt und nicht alles für selbstverständlich hält.“ Veranstaltungen wie „Pulse of Europe“ im Mai in Hamburg, bei der Frau König auch mehrmals dabei war, zeigen, wie wichtig es ist, „dass die schweigende Mehrheit ihre Stimme erhebt“. Außerdem sollten wir „nicht glauben, dass uns das alles in den Schoß gelegt wird und dann läuft es halt irgendwie.“ Die aktuellen, teilweise besorgniserregenden Umbrüche innerhalb Europas wie die Folgen der Flüchtlingskrise, der Brexit oder die andauernde Katalonienkrise seien Anlass genug, sich selbst zu engagieren und tätig zu werden – eine Haltung, die Frau König an der Bucerius Law School und unseren Studierenden besonders schätzt. Auf die Frage, was das Beste an der Law School sei, antwortet sie: „Dieser Law School-Spirit.“ Der Zusammenhalt also, der als Nährboden für gegenseitiges und gemeinsames Engagement dient. „Dinge bewegen sich, wenn Personen sich dahinterklemmen und gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Dann bewegen sich Dinge. Eigentlich nur dann.“
Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und wir stehen vor dem von Paul Baumgarten entworfenen Stahlskelettbau, der seit 1969 das Bundesverfassungsgericht beheimatet, um uns von Frau König zu verabschieden. Sie muss zurück an die Arbeit. Hier, im Karlsruher Schlosspark, werden eben auch Dinge bewegt, und Frau König ist eine derjenigen Personen, die sich dahinterklemmen, um das zu ermöglichen. Am Ende bleibt der Eindruck einer diszipliniert und hart arbeitenden Bundesverfassungsrichterin, einer in sich ruhenden und zufriedenen Juristin und einer herzlichen und starken Persönlichkeit, über deren nachhaltige Verbundenheit mit unserer Alma Mater und uns Alumni wir uns außerordentlich freuen dürfen.
Constantin Glaesner (Jg. 2012)
Maximilian Schröder (Jg. 2009)
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