Manuel Hartung: Der neue Vorstandsvorsitzende der ZEIT-Stiftung im Gespräch
Wie bist du auf Deine aktuelle Rolle aufmerksam geworden und was hat Dich daran besonders interessiert?
Im Bucerius-Kosmos befinde ich mich schon lange, ich war dort unter anderem als Redakteur und Ressortleiter bei der ZEIT und als Geschäftsführer einer Tochterfirma der ZEIT-Gruppe tätig. Mich hat immer angetrieben, gemeinsam mit anderen etwas bewegen zu können. Das haben alle meine Rollen bis heute gemeinsam. Die Möglichkeit, jetzt als Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung so vieles gestalten zu können, ist ein Traumjob.
Gibt es auch etwas, was Du in Deinem bisherigen Berufsleben bereust?
Claus Kleber hat mal in einem Interview zu mir gesagt: „Student zu sein ist die höchste Form des menschlichen Daseins.“ Ich glaube, Kleber hat recht. Ich habe an drei Universitäten studiert, rückblickend würde ich aber noch ein, zwei Jahre anhängen und weitere Auslandssemester machen. Ich war zweimal im Ausland in den USA, in New York und in der Nähe von Boston. Als Studierender noch ein weiteres Land kennenzulernen, hätte mich sehr gereizt.
Woher kam Dein Drang, so viele Ausbildungswege einzuschlagen und dann zweimal in den USA zu studieren?
Klar sagen manche: „Zwei Studienschlüsse aus zwei Ländern sind viel!“ Ich sage: Jede noch so kurze Auslandserfahrung ist ein Gewinn, eine Zeit, in der man unterschiedliche Perspektiven kennenlernt. Der Dean der Harvard Kennedy School sagte am ersten Tags des Studiums: „Es wird Ihnen hier passieren, dass Sie die Position eines Gegenübers kennenlernen und Sie im ersten Moment sagen, die Position sei vollkommen falsch. Hören Sie erst einmal zu!“ Und er hatte recht: Zuhören ist eine so unterschätzte wie relevante Fähigkeit. Zusätzlich hat mich das gelebte Motto der Kennedy School, der von John F. Kennedy stammende Satz „Ask what you can do“, geprägt und angetrieben.
Würdest Du sagen, dass das ein Aspekt ist, den gerade unsere Hochschule weiter ausbauen und mit dem sie den gesellschaftlichen Diskurs prägen kann?
Das halte ich nicht für eine Kann-Frage, sondern für zwingend. Der gesellschaftspolitische Diskurs ist für jede Hochschule wichtig, insbesondere für eine Hochschule, die von einer Stiftung getragen wird, und die für ein Fach ausbildet, das im besten Sinn staatstragend ist – nämlich Jura. Ich bin überzeugt: Nur wer die Gesellschaft wirklich versteht, ist auch ein guter Jurist. Auch ein Corporate Lawyer muss gesellschaftspolitisch alert sein.
Das ist eine gute Überleitung auf Deine Vision für die Law School und ihre Werte. Wie definiert Du die drei bekannten Grundpfeiler der Law School – Mut, Gemeinschaftssinn und Exzellenz – im Kontext der Hochschule?
Exzellenz heißt, dass wir in der Forschung und den Ergebnissen der Studierenden sehr gut sein wollen. Das Leistungsversprechen ist dabei wichtig, aber wir dürfen den Exzellenzbegriff nicht auf Noten verengen. Exzellenz ist aus meiner Sicht keine Säule, sondern ein Balken, der sich horizontal auch durch andere Werte zieht.
Unter Gemeinschaftssinn verstehe ich, sich in diese Gesellschaft einzubringen und sie zu prägen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, die Dinge zum Positiven zu wenden: Momentan herrscht eine Kulmination an Krisen, wir befinden uns in einer Alles-Krise. Die Zivilgesellschaft kann und muss in dieser Lage einen Unterschied machen. Auf gesellschaftspolitisches Engagement und Gemeinschaftssinn sollten wir in diesem Kontext als Stiftungshochschule besonderen Wert legen.
Der dritte Wert, Mut, bedeutet für mich Orientierung an Veränderung und Reformen. Das heißt auch, dass wir mutige Menschen hervorbringen wollen, die sich etwas trauen und Verantwortung übernehmen wollen.
Diese Werte sind nicht statisch, sie verändern sich mit den Zeitläufen. Wofür steht Mut in dieser Zeit? Mut heißt 2022 etwas anderes als 2000. Damals gab es einen Reformimpuls gegen das Staatsexamen. Heute muss eine mutige Institution etwas anderen anstoßen, das noch mehr in diese Gesellschaft hineinragt – das ist die dritte Mission der Hochschule nach Forschung und Lehre. Mein Eindruck ist, dass die Hochschulgemeinschaft diesen Prozess gemeinsam und mutig für diese Institution angehen möchte – darüber freue ich mich sehr!
In den kommenden Jahren wird die Bucerius Law School ihr Gesicht verändern. Die beiden Neubauten werden einschneidende Ereignisse in der Hochschulgeschichte sein – das ist eine große Chance, Neues anzustoßen.
Das geht in die Richtung Innovationsgeist, der den Alumnae und Alumni besonders wichtig ist. Wo siehst Du die Hochschule in zehn Jahren? Was wünscht Du Dir für ihre Entwicklung?
Etwas sehr Besonderes an der Law School ist für mich, dass Studierende sowie Alumnae und Alumni so viel mitreden. Dass die Alumni sich mit einem eigenen Thesenpapier einmischen, finde ich großartig. Ich wünsche mir, dass die Alumni sich noch stärker mit Ideen, aber auch mit Finanzierung einbringen. Jetzt gerade, wo viel Alumnae und Alumni schon so erfolgreich sind, könnten wir uns doch über einen Flügel, ein Center oder eine Professur, die von den Alumni gestiftet wird, freuen.
Der Hochschule wohnt ein permanenter Wandel inne. Es gibt diesen Satz aus dem Gattopardo von Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern.“ Das stimmt tatsächlich! Jede Einrichtung muss sich immer wieder hinterfragen. Das ist ein Auftrag der Hochschule, eine Gemeinschaftsaufgabe der Hochschulgemeinschaft.
Du hast schon viel angesprochen von dem, wo Du Stärken siehst und vielleicht auch noch Verbesserungsbedarf besteht. Kannst Du drei Stärken und Schwächen der Hochschule benennen?
Das Thema Diversität liegt mir besonders am Herzen. Da muss die Hochschule noch besser werden – und ich bin froh, dass sowohl der Alumni-Verein als auch die Hochschulleitung dieses Thema nach Kräften vorantreiben. Eine Hochschule muss die Gesellschaft in ihrer Breite abbilden; Bildungsrepublik geht nur mit allen. Mir liegen Menschen am Herzen, die als erste in ihrer Familie an eine Universität gehen. Das sage ich als Sohn eines katholischen Arbeitermädchens vom Lande: Meine Mutter war Tochter von ungelernten Arbeitern, die keinen höheren Schulabschluss hatten, und hat es dann geschafft, als erste in ihrer Familie Abitur zu machen und mit Unterstützung des Cusanuswerks zu studieren. Ralf Dahrendorf hat 1965 das Buch „Bildung ist Bürgerrecht“ veröffentlicht. Eine Institution wie die Law School, die von einer Stiftung getragen wird, sollte sich immer daran messen lassen, wie vielen Menschen sie zur Durchsetzung dieses Bürgerrechts auch wirklich verhilft.
Worauf ich zudem ein Augenmerk legen würde: Wie kommen wir aus dieser Erschöpfungszeit nach Corona wieder raus? Die Hochschule hat das exzellent gemacht: den Präsenzbetrieb sehr früh aufrechterhalten, sehr früh gemeinschaftsstiftende Sachen unternommen… Ich glaube aber, dass da etwas Großes in uns allen schlummert, das wir noch gar nicht verstehen. Wie erschöpft ist die Gesellschaft? Das müssen wir uns in besonderer Weise anschauen.
Das Dritte ist die Reformorientierung. Auch darum muss sich eine Hochschule stetig intensiv bemühen. Die Hochschule muss weiterhin den Elan haben, vorn sein zu wollen in der Juristenlandschaft. Und auch da sind die Neubauten eine Chance. Die Alumni sprechen in ihrem Paper von einer Neugründung der Hochschule. Vielleicht ist auch Neubegründung ein guter Ausdruck – in jedem Fall die beste Gelegenheit, mutig über Reformen nachzudenken.
Bei den Stärken würden mir mehr als nur drei einfallen (lacht)! Sehr positiv ist die Nähe, die hier untereinander herrscht. Es wird sich um den Einzelnen gekümmert. Zudem ist eine Stärke der Law School ihre Eigenschaft als Stiftungshochschule. Da stimme ich mit dem „Bucerius 2030“-Paper des Alumni-Vereins überein. Eine Stiftungshochschule zu sein heißt eben, in die Gesellschaft hineinzuwirken.
Eine große Stärke sind die Menschen an der Law School – und damit meine ich nicht nur die großartige Studierendenschaft und die wunderbaren Alumni. Ich war letztens mit dem Professorium essen und habe viel über deren Engagement erfahren. Aber es ist auch großartig, mit welcher Herzlichkeit, mit welchem Spirit man von den Mitarbeiterinnen der Coffee Lounge oder dem Team der Bucerius Education vor einer Veranstaltung begrüßt wird. Da ich die Law School auch schon kannte, bevor ich Vorstandsvorsitzender geworden bin, weiß ich auch, dass es immer so ist und nicht nur, wenn ich komme (lacht)!
Zum Punkt Diversität und Studierende aus nichtakademischen Haushalten ergibt sich die Frage: Hast Du im Kopf, wo wir ansetzen müssen, um mehr Studierende mit solchen Hintergründen bei uns zu begrüßen?
Es ist nicht der eine Hebel, sondern eine Summe von unterschiedlichen Maßnahmen, die man ausführen muss. Wie inklusiv sind wir in der Sprache? Sind unsere Verfahren inklusiv? Wie wirken wir nach außen? An welchen Schulen sind wir präsent? Wo werben wir? Wem sagt der Name Bucerius etwas? Ich finde auch wichtig, in Regionen um Studierende zu werben, in denen wir noch nicht so stark sind.
Der Begriff Elite wird häufig – egal, ob positiv oder negativ – in einem Satz mit der Law School genannt und mit vielen Privilegien in Verbindung gebracht. Wie würdest Du den Begriff in Bezug auf die Law School definieren?
Sicher: Es ist ein totales Privileg, an der Law School zu studieren. Man trägt aber auch die Verantwortung, die Talente einzubringen, die man in diesem Rahmen entfalten durfte. Adorno sagte einmal: „Elite mag man in Gottes Namen sein; niemals darf man als solche sich fühlen.“ Ich würde die Law School daher als Gemeinschaft verantwortlich Handelnder verstehen.
Welche Bedeutung hatte Dein gesellschaftliches Engagement und Ehrenamt für Dich während Deines bisherigen Werdegangs und auch noch heute?
Ich habe wesentliche Erfahrungen meines Lebens durch mein Engagement gemacht; dass es gelingen kann, eine Gruppe auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, dass man als Gruppe etwas auf die Beine stellen kann: Freude am gemeinsamen Gelingen. Zumal Engagement – anders als eine gute Note, über die man sich sicherlich auch freut – kein individualistischer Akt ist, sondern ein Akt der Gemeinschaft.
Viele Menschen würden sich gern engagieren, aber es gibt zumindest ein gewisses Delta zwischen ihnen und denjenigen, die es tatsächlich machen. Gibt es etwas, das Du solchen Menschen, die noch unsicher sind, mit auf den Weg geben möchtest?
Es gibt zwei Arten des Engagements: Einmal das Engagement, das weit weg vom eigenen Dach ist; als Ausgleich zu dem, was die Menschen beruflich tun. Genauso finde ich aber die Ausübung von Pro-Bono-Arbeit lobenswert.
Die Entwicklung der Gesellschaft von Corona nehme ich dabei sehr ernst. Was bedeutet es, dass in diesem Herbst weniger Leute in Theater zurückkommen? Haben wir eine neue Form von Biedermeierlichkeit? Engagieren sich weniger Menschen? Diese Gefahren sollten wir uns sehr genau anschauen. Es macht mir ein bisschen Sorge, dass das Leben zwar zurückkehrt, aber in anderer Form, weil viele in diesem Zustand kollektiver Erschöpfung sind.
Neben der Law School ist ein Steckenpferd der ZEIT-Stiftung auch das Bucerius Kunst Forum. Hast Du noch eine Ausstellung im Kopf, die es Dir besonders angetan hat?
Es ist schwer, nur eine herauszupicken. Womit ich aber wahnsinnig viel Zeit verbracht habe, sind die Titelbilder des Evening Standards, die in der Ausstellung „Amerika! Disney, Rockwell, Pollock, Warhol“ zu sehen waren und ein totales Gesellschaftspanorama gezeigt haben.
Gibt es denn eine Künstlerin oder einen Künstler, die oder den Du schon immer einmal im Bucerius Kunst Forum wolltest?
Ich glaube, dass der Ansatz der Ausstellung nicht unbedingt sein muss, eine Künstlerin oder einen Künstler zu zeigen, sondern ein Thema aufzuarbeiten. Zum Beispiel Ungewissheit! Ich weiß nicht, wie Ungewissheit in der Kunst darzustellen wäre, aber ich fände es spannend, das zu sehen.
Zum Abschluss kommen wir jetzt noch zum Thema des diesjährigen GERD: Sport. Warst oder bist Du selbst sportlich aktiv?
Als Grundschüler war ich ein totaler Fußballfreak, danach habe ich viel Streetball gespielt. Heutzutage gehe ich gern ins Gym. Aber das ist kein Mannschaftssport, aus dem man irgendeine Botschaft ableiten könnte! Mir gefallen eigentlich die Begegnungen für Zufallssport am meisten: Beim Wissenschaftskolleg gibt es einen Empfang, wo am Ende des Abends viele der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Tischtennis spielen, und zwar Rundlauf. Da bin ich gern dabei. Mal sehen, wann ich die Platte an der Bucerius Law School zum ersten Mal nutzen werde.
Pauline Cruse (Jg. 2019)
Magdalena Göbel (Jg. 2012)
Kommentar schreiben