Lisa Guntermann: Der Neuzugang im Professorium über Innovation und Frauen im Recht
Lisa Guntermann hat am 1. April 2023 die Juniorprofessur für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Bucerius Law School übernommen.
Lassen Sie uns direkt ins kalte Wasser springen: Sie als Rechtswissenschaftlerin – in drei Worten.
Zwei fallen mir direkt ein: kritisch und kreativ! Nehmen wir noch neugierig dazu.
Wo sehen Sie Kreativität in der Rechtswissenschaft?
In meiner dreijährigen Tätigkeit als Anwältin in der Großkanzlei hat mir das Draften von Verträgen – die Lücken des Rechts zu finden und sie mit neuen Regulären zu füllen – immer besonders Spaß gemacht.
Drei Jahre Großkanzlei klingen erst einmal nach dem klassischen Werdegang, den auch viele Alumnae und Alumni beschreiten. Wie sind Sie dann doch zur Wissenschaft gekommen?
Kurz vor dem Zweiten Examen dachte ich, mal die weite Welt sehen und das Leben außerhalb der Uniblase kennenlernen zu müssen. Drei Wochen vor der mündlichen Prüfung musste ich dann feststellen, dass ich gar nicht wusste, was ich konkret machen soll. Ich hatte diverse Ideen, von Richterin bis Notarin, aber dachte mir, dass ein Anfang in der Großkanzlei zunächst nicht schaden würde. Gerade im Gesellschaftsrecht ist das ein guter Einstieg mit steiler Lernkurve. Aber es hat natürlich auch Nachteile, Stichwort fremdbestimmte Arbeitszeit. Großkanzlei-typische Arbeitszeit ist eine Sache, Fremdbestimmtheit aber eine andere, die ich so nicht mehr wollte.
Wie ich dann auf die Wissenschaft gekommen bin? Ich unterrichte gern und genau dieser Kontakt zu den Lernenden hat mir gefehlt. Schon während meiner Zeit in der Kanzlei habe ich versucht, das noch weiter zu betreiben, aber nebenbei funktioniert das nicht besonders gut. Ich wollte auch wissenschaftlich schreiben können, ohne Rücksicht auf die Perspektiven meiner Mandanten nehmen zu müssen. Diese Gründe haben mich erst zurück an die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und glücklicherweise dann hier an die Law School gebracht.
War das Gesellschaftsrecht schon immer Ihr Schwerpunkt?
In meinem dritten Semester wollte ich an einem Lehrstuhl arbeiten und habe nach Stellenausschreibungen gesucht. Es gab eine Stelle am Lehrstuhl für Gesellschaftsrecht, auf die ich mich beworben habe, obwohl ich gar keine Ahnung hatte, was das war (lacht)! Durch die Arbeit am Lehrstuhl bin ich in diesen Bereich hineingeworfen worden und fand ihn faszinierend. Anders als bei Verträgen geht es nicht um bipolare Verhältnisse, sondern es sind multipolare Interessen beteiligt, zwischen denen man einen Ausgleich finden muss. Das Gesellschaftsrecht bietet dazu ganz viele verschiedene Möglichkeiten – da wären wir wieder bei der Kreativität. Im Positiven gesprochen geht es außerdem häufig „nur“ um Geld, was ich ganz charmant finde, weil man niemandem „weh tut“.
Böse gesagt könnte man an der Stelle entgegnen, dass es eben nur um Recht für Geld und den Kapitalismus geht…
Nicht umsonst gibt es aktuelle Debatten darum, wie man Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit „erziehen“ kann; sei es durch kapitalmarktrechtliche Vorgaben, Offenlegungspflichten oder Aktionäre, die in Hauptversammlung ihre Klimaziele durchsetzen wollen. Es geht eben nicht nur um Geld. Vielleicht noch ein weiterer Punkt: Das Gesellschaftsrecht kann auch ein Motor für gesellschaftspolitische Anliegen wie die Förderung von Frauen sein. Neben dem Stichwort Frauenquote gibt es auch eine recht neue Regelung für Vorstandsangehörige, die es ihnen ermöglicht, im Vorstand nur eine „Pause“ einzulegen, wenn sie ein Kind bekommen haben oder Angehörige pflegen müssen. So können sie einfach eine Zeit lang ihr Amt niederlegen und 1:1 wiederkommen.
Sie haben Frauen in juristischen Berufen angesprochen: Auch im letzten Jahr haben wir mit Frau Boele-Woelki darüber geredet, welchen Schwierigkeiten Frauen im Recht und in der Forschung begegnen. Sie haben es gelebt und geschafft! Was können Sie Ihren Mitstreiterinnen mitgeben und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich glaube, dass es Frauen leider häufig – verständlicherweise – auch am Mut fehlt, Ungewissheit über einen gewissen Zeitraum zu akzeptieren. Das ist das größte Problem der wissenschaftlichen Karriere: nicht zu wissen, ob und wo man eine dauerhafte Anstellung bekommt, die mit einer potenziellen Familie vereinbar ist. Deshalb glaube ich, man muss einfach mal mutig sein und etwas ausprobieren, weil das Berufsfeld so viele schöne Möglichkeiten bietet. Es ist ein sehr selbstbestimmter Job, der viel Raum für Kreativität bietet. Am Ende des Tages ist es nicht das Ende der Welt, sollte man scheitern – man hat in der Zeit auf jeden Fall Vieles gelernt! Für mich gab es daneben aber immer die Option, „notfalls“ in die Kanzlei zurückzukehren. Die Arbeit dort hat mir immerhin auch total Spaß gemacht. Meine Chance in der Wissenschaft wollte ich aber dennoch unbedingt wahrnehmen.
Also vielleicht manchmal einfach springen?
Korrekt!
Frauen speziell im Kapitalmarktrecht sind noch einmal mehr unterrepräsentiert als in anderen Rechtsgebieten: Auf 322 Fachanwältinnen für Handels- und Gesellschaftsrecht kommen 1.656 Fachanwälte. Wir sind wohl der Meinung, das sollte sich ändern? Fehlt Ihnen eine Interessenwahrnehmung von Frauen in Ihren Rechtsgebieten?
Auf jeden Fall sollte sich das ändern! Ich glaube, bei der Interessenwahrnehmung bietet sich erst einmal die Frage nach der Ursache an. Der Beruf des Rechtsanwalts im Gesellschaftsrecht ist meines Erachtens in der Tat nicht optimal für die Familienplanung, weil es sich im M&A-Bereich häufig um grenzüberschreitende Projekte mit engen Fristen handelt, bei denen sich die Arbeitszeit nicht genau kalkulieren lässt. Von der praktischen Seite des Anwaltsberufs kann ich die Geschlechterverteilung also in gewisser Weise nachvollziehen. Was die Interessen anbelangt, die sich im materiellen Gesellschaftsrecht spiegeln, überrascht mich die Verteilung dann aber doch. Zwar gibt es andere Rechtsgebiete wie das Familienrecht, wo es um Themen geht, die Frauen bislang erfahrungsgemäß eher interessieren als Männer und die zu einem starken Anteil weiblicher Juristinnen führen. Dass das im Gesellschaftsrecht umgekehrt auch so ist, würde ich aber verneinen. Ich glaube nicht, dass spezifisch männliche Interessen angesprochen werden. Es geht um die Organisation unternehmerischen Handelns, es geht um das Anlegen und Einwerfen von Geldern auf den Kapitalmärkten; letztlich um Themen, die uns alle angehen. Vielleicht sollte man weiblichen Studierenden noch etwas deutlicher machen, wie spannend das sein kann.
Glauben Sie, die Geschlechterverteilung reguliert sich von selbst, wenn weibliche Wissenschaftlerinnen und Praktikerinnen nachrücken, oder sollte man Erleichterungen schaffen?
In der Anwaltschaft sieht man, dass gerade auch weiblicher Nachwuchs kommt. Allerdings ist das Gesellschaftsrecht auch ein Bereich, der vor allem von Großkanzleien bespielt wird. Die dortige Karriere ist sehr steinig und ich habe das Gefühl, dass Frauen tendenziell eher den Weg fort von der Großkanzlei wählen als ihre männlichen Kollegen. Ob man hier aber wirklich etwas ändern kann, wage ich zu bezweifeln. Und für die Wissenschaft? Ohne genaue Zahlen zu kennen, vermute ich ein ähnliches Ungleichgewicht jedenfalls in der gesellschaftsrechtlichen Wissenschaft und kann nur hoffen, dass sich auch da etwas ändert. Es gibt – wie gesagt – keinen Grund, warum Frauen sich nicht für dieses Rechtsgebiet interessieren sollten. Das beste Beispiel an dieser Fakultät ist Sophie Burchardi, die als Habilitandin auch im Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht lehrt und forscht. Hier an der Hochschule sind wir Frauen im wissenschaftlichen Nachwuchs somit sogar recht stark repräsentiert. Aber grundsätzlich wären Erleichterungen natürlich wünschenswert.
Wir haben mit Professor Hanschmann bei seinem Amtsantritt viel über Kritik des Rechts und Diversität gesprochen. Gibt es im tradierten Gesellschaftsrecht auch Innovationspotenzial und Wandel? Wir haben es bereits angerissen mit Themen wie Nachhaltigkeit und Geschlechterverhältnis.
Das Gesellschaftsrecht ist durchaus ein sehr dogmatisches Rechtsgebiet, das von Strukturen lebt, die teilweise sehr veraltet sind. Das GmbH-Recht stammt beispielsweise aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und die Normen lesen sich auch so (lacht)! Dass Öffnungen Richtung Frauenquote oder Nachhaltigkeit auf die Tagesordnung kommen, liegt teilweise an gesellschaftlichen Veränderungen, teilweise aber auch an der Initiative von Einzelpersonen, die sich um Neuerungen bemühen. Das Gesellschaftsrecht ist aber grundsätzlich wandlungsfähig.
Wie ist das in der Forschung? Gibt es dort Reaktionen auf Entwicklungen wie die Digitalisierung?
Beim Stichwort Digitalisierung gibt es schon gewisse Durchbrüche, die allerdings häufig durch äußere Umstände veranlasst werden. So muss jede Aktiengesellschaft verpflichtend einmal im Jahr eine Hauptversammlung durchführen. Als dann die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen kam, musste umgedacht werden. Das herkömmliche Prinzip, sich mit 1.000 Menschen in einer Halle zu treffen, funktionierte nicht mehr. In der Situation war der Gesetzgeber gezwungen, Regelungen zu schaffen, die eine virtuelle Hauptversammlung erlaubten – übergangsweise und letztlich auch verstetigt, weil das Konzept auf Zuspruch stieß.
Auf der einen Seite ist das Gesellschaftsrecht etwas verkrustet – wir sprachen gerade über das GmbH-Gesetz von 1892 –, auf der anderen Seite werden teilweise aber auch ganz wilde Ideen gesponnen. Es gibt zum Beispiel einen Aufsatz von zwei Kollegen aus Oxford zu „self-driving corporations“. Darin wird die Frage behandelt, ob eine KI etwa ein Taxiunternehmen mit autonomen Fahrzeugen betreiben könnte – also ohne menschliche Partizipation. Solche Ideen gibt es auch, die noch so wenig greifbar sind, dass man damit aus der Perspektive der gesellschaftsrechtlichen Dogmatik noch nicht viel anfangen kann. Es geht also in alle Richtungen (lacht)!
Apropos Aufsatz: Sie haben immer gern gelehrt, möchten jetzt auch selbstbestimmt schreiben. Freuen Sie sich auf einen Bereich Ihrer Aufgaben als Juniorprofessorin besonders?
Definitiv auf die Lehre! Gerade in der Examensvorbereitung gibt es diverse Probleme. Hier an der Hochschule kann ich das noch nicht abschließend bewerten, aber das grundsätzliche Problem ist, dass die Examenskandidatinnen und -kandidaten denken, viele Details auswendig lernen zu müssen. So ging es mir damals auch! Da liegt allerdings ein Fehler. Man muss die Studierenden weg von Einzelproblemen und zum Strukturwissen bringen. Im Examen geht es oftmals darum, wie man mit unbekannten Problemen umgeht. Deshalb muss man als Lehrperson aufzeigen, wie man gerade solche Situationen meistert! Das sehe ich als meine Vermittlungsaufgabe und mache das eventuell auch etwas glaubwürdiger als andere, weil ich durch mein Alter noch näher dran bin.
Darauf können sich die Studierenden also freuen! Wie finden Sie sich bisher generell in der Law School zurecht? Haben Sie schon Unterschiede zur staatlichen Universität feststellen können?
Der erste Eindruck ist unter verschiedenen Gesichtspunkten fantastisch! Der Campus ist großartig: grün, mitten in der Stadt und dieses wunderbare Gebäude – auch wenn ich mich hier noch regelmäßig verlaufe… Ich merke eine deutlich familiärere Atmosphäre als an einer öffentlichen Hochschule. So langsam fange auch ich an, Gesichter auf den Fluren wiederzuerkennen (lacht)! Das, was hier vielleicht etwas fehlt, ist die Anknüpfung an andere Fakultäten. Das würde ich ihr manchmal wünschen; etwa einen frischen Wind auf den Sozialwissenschaften. Aber im Endeffekt ist das auch kein Hindernis, wenn man sich diese Eindrücke stattdessen von außen einholt.
Wo Sie gerade von frischem Wind sprechen: In welcher Rolle sehen Sie sich hier? Als jemand Neues, die auch anders denkt und ihren eigenen Stempel hinterlässt? Worauf können wir uns mit Ihnen freuen?
In der Tat besonders auf besagten frischen Wind in der Lehre, der bestimmt nicht schadet. Zur Lehre hier habe ich bisher nur Gutes gehört, aber meine Perspektive ist jedenfalls eine gute Ergänzung. Es gibt schon viele innovative Lehrformate, die eingesetzt werden. Deutlich mehr als an anderen Hochschulen! Da besteht aber noch mehr Potenzial, bei dessen Ausschöpfung ich mich gern einbringe. Außerdem hat die Law School eine bekannte Historie großer Gesellschaftsrechtler hinter sich – und jetzt komme ich als junge Frau neu dazu. Das ist bestimmt spannend.
Unser Thema des GERDs ist dieses Jahr New Work. Sie haben eine Juniorprofessur mit Tenure Track inne… Letzterer ist noch relativ „new“! Ist das Konzept sinnvoll, brauchen wir davon mehr?
Aus meiner Perspektive ist das natürlich sinnvoll (lacht)! Auch objektiv handelt es sich um ein tolles Modell. Wir haben es vorhin angesprochen: Die Ungewissheit von Frauen in der Wissenschaft ist ein Thema, das durch en Tenure Track zumindest teilweise aufgehoben wird. Man hat mehr Sicherheit und schon eine genauere Vorstellung davon, wo man landen kann. Hätte ich den konventionellen Weg weiter beschritten, wäre ich in Düsseldorf geblieben und hätte zunächst meine Habilitation beendet. Daran arbeite ich jetzt auch nach wie vor. Doch ohne den Tenure Track hier wäre ich nach der Habilitation auf den Markt gespült worden, hätte mich an Unis in ganz Deutschland vorstellen und bewerben müssen – mit der Hoffnung, dass ich an einem Ort lande, der auch mit meinem Privatleben vereinbar ist. Dieser Spießrutenlauf wird durch den Tenure Track deutlich entschärft. Man bekommt schon in einem frühen Stadium eine echte Perspektive. Daher: gern mehr davon!
Fällt Ihnen über den Tenure Track hinaus noch weiteres Innovations- oder Wandelpotenzial im Anforderungsprofil Hochschullehrer ein?
Es sollte insgesamt mehr der Fokus auf die Lehre gelegt werden. Im Berufungsverfahren für eine Professur zählt vor allem, was die Kandidaten wissenschaftlich geleistet und veröffentlicht haben. Was oftmals hintenüberfällt: Können sie innovative Lehrkonzepte entwickeln und umsetzen? Reißen sie ihre Studierenden mit? All das zählt weniger, doch handelt es sich bei der Professur nun einmal um einen Job, der zur einen Hälfte aus Wissenschaft und zur anderen aus der Lehre besteht – jedenfalls in meiner Wahrnehmung. Das sollte man mehr in der Vordergrund stellen und so einen Anreiz bei Nachwuchswissenschaftlern schaffen, sich in dem Bereich fortzubilden und Neues auszuprobieren.
Ein schöner Appell zum Schluss! Für das Ende des Interviews haben wir drei Satzanfänge vorbereitet, die Sie bitte für uns beenden. Gesellschaftsrecht ist das spannendste Rechtsgebiet, weil…
…es von einem sehr dogmatischen Standpunkt aus kommt, aber gleichzeitig Raum für Innovation und politische Anliegen bietet. Ein Spiegel der Gesellschaft!
Die Publikation, auf die ich am meisten stolz bin…
…ist bislang meine Dissertation. Gar nicht so sehr, weil sie gut geworden ist – das sollen andere beurteilen (lacht). Ich habe mich über zweieinhalb Jahre motivieren können, kontinuierlich an ihr zu arbeiten, über meinen eigenen Schatten zu springen und mich in Bereiche wie die Rechtsökonomie zu wagen, die ich bislang überhaupt nicht im Blick hatte. Das hat mir einen neuen Horizont eröffnet.
Vor meiner ersten Vorlesung an der Law School…
…habe ich Respekt, aber ich freue mich auch extrem darauf.
Pauline Cruse (Jg. 2019)
Lara Bucholski (Jg. 2015)
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