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Neugierig. Zweifelnd. Mutig.

Katharina Boele-Woelki: Ein Porträt der Präsidentin und ihrer Zeit an der Hochschule



Als Präsidentin der Bucerius Law School, Mitherausgeberin internationaler Fachzeitschriften und Trägerin diverser Ehrendoktorwürde kann Professorin Katharina Boele-Woelki auf eine bewegte juristische Laufbahn zurückblicken. 2023 steht die nächste Weichenstellung bevor: Nach acht Jahren gibt sie das Amt der Präsidentschaft ab.

 

Diese Gelegenheit möchten wir nutzen, um Revue passieren zu lassen. Wie ist Boele-Woelki zur Rechtswissenschaft gekommen? Welche Anliegen in der Rechtswissenschaft und darüber hinaus treiben sie bis heute an? Wie nimmt sie ihre Zeit und ihr Wirken an der Bucerius Law School wahr – und was soll noch folgen?

 

Aller Anfang ist … unklar

 

Nicht untypisch begann Bolle-Woelkis Weg zur Rechtswissenschaft mit einem bestimmten Gefühlszustand: Ratlosigkeit. Zu viele Interessen, die es unter einen Hut zu bringen galt; keine Neigung, die neben den anderen besonders hervortrat. Schließlich war es ihr Onkel, selbst Jurist, der ihr vom Studiengang der Rechtswissenschaft sogar abriet. Trotz dieser Warnung – oder vielleicht gerade deswegen – war die junge Frau fasziniert von der Materie, die so breit aufgestellt ist, vieles umfasst und gesellschaftliche Probleme adressiert. Vielleicht würde sie dort ihren Weg finden?

 

Der erste Erfolgsmoment im Studium ließ nicht lange auf sich warten. Als beflügelnd bezeichnet sie eine Klausurbesprechung, in der ein AG-Leiter ihre Arbeit als eine besonders gelungene Ausnahme hervorhob. Solche „Es geht weiter“-Momente häuften sich, bis sie im Vorgespräch der mündlichen Examensprüfung von einem Kommissionsmitglied darauf angesprochen wurde, ob sie nicht Interesse am Richteramt hätte. So schmeichelhaft diese Aussage und so vielversprechend diese Aussicht auch war, hatte Boele-Woelki andere Pläne: Promotion und Auslandsaufenthalte.

 

Der Weg in die Niederlande

 

1992 zog es Boele-Woelki auf Zuruf einer Professorin an die Universität Utrecht, wo sie Arbeitsgemeinschaften im internationalen Privatrecht unterrichtete. Nachdem sie vor dieser Aufgabe an einem Institut für internationales Recht in Den Haag ausschließlich in der Forschung tätig gewesen war und eine Vielzahl von internationalen Publikationen vorweisen konnte, trat sie 1995 in die Fußstapfen der Person, die sie drei Jahre zuvor an die Universität Utrecht geführt hatte, und übernahm den Lehrstuhl für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung von Professorin Kokkini-Iatridou.

 

Mit einem Augenzwinkern stellt sie zu ihrer Rolle in der Rechtswissenschaft fest: „Die meisten meiner Veröffentlichungen sind seit der Professur auf Englisch erschienen. Es gibt auch Einzelne, die  anmerken, dass ich in deutschen Kommentaren nicht zu finden bin. Das mag bis auf familienrechtliche Kommentare größtenteils stimmen – aber in internationalen Zeitschriften und Verlagen, da kennt man meinen Namen schon.“

 

Internationalität wird großgeschrieben

 

Der Hang zur Internationalität zeigte sich bei Boele-Woelki schon früh. Nebenbei studierte sie Niederländisch und nahm gefördert von der Deutschen Akademie Austauschdienst (DAAD) an einem Summer Course Private International Law an der Haager Akademie für Internationales Recht teil. Als erste Rechtswissenschaftlerin erhielt sie später ein Promotionsstipendium des DAAD für die Niederlande – was auch daran lag, dass ihre juristische Forschungsmaterie neben Bewerbungen aus Studiengängen wie der Kunstgeschichte hervorstach. Ihre Kühnheit, in derart unbekanntes Terrain vorzustoßen, sollte sich auszahlen und geht mit den drei Worten einher, die sie verwendet, um sich als Juristin zu beschreiben: Neugierig. Zweifelnd. Mutig.



Forschungsschwerpunkt: Familienrecht

 

Ein Akt besonderen Mutes war erforderlich, als Boele-Woelki die Forschungsausrichtung ihres Lehrstuhls in Utrecht beschloss. Es galt, einen Platz zu finden zwischen den prominenten Kollegen im europäischen und internationalen Vertragsrecht, in dem viele Forschungsfragen bereits mehr oder weniger intensiv bearbeitet worden waren. So stellte sich ihr die Frage: Warum eigentlich sollten ähnliche Untersuchungen nicht auch im Familienrecht mit europäischem Fokus stattfinden können?

 

Ihre Vision eines europäischen Familienrechts stieß zunächst auf Ablehnung unter dem Deckmantel der Utopie. Spätestens seit der Gründung der Kommission für Europäisches Familienrecht, der Boele-Woelki bis heute als Vorsitzende dient, im Jahr 2001 hat sich das jedoch geändert. Mit dem Ziel, übergreifende europäische Prinzipien zum Familienrecht zu entwerfen, hat die Kommission eine Serie begründet und organisiert bis heute diverse internationale Konferenzen; eine Errungenschaft, die Boele-Woelki bestätigt und antreibt. Der fortschreitenden Internationalisierung und Europäisierung, die das Recht momentan erlebt, blickt Boele-Woelki weiterhin gespannt entgegen. Doch es gibt ein weiteres Thema, das Boele-Woelki besonders beschäftigt.

 

Frauen in der Forschung

 

Boele-Woelki ist eine unermüdliche und leidenschaftliche Unterstützerin und Förderin von Frauen in der Rechtswissenschaft – insbesondere im Bereich der Forschung. Der lange Weg zur Professur ist ihr nur allzu gut bekannt. Die Konkurrenz und Unsicherheit sind zwar groß; die gesamte Lebenskonstellation muss auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Dennoch findet Boele-Woelki ermutigende Worte. Gegenwinde, die sich aus Sicht einer jungen – gerade weiblichen – Habilitandin ohne Aussicht auf eine Festanstellung nicht beeinflussen zu lassen scheinen, gilt es auszustehen. Karrierewege wie eine Juniorprofessur mit Tenure Track sind genau die Art Impuls, der die wissenschaftliche Karriere von Frauen aktuell beflügeln kann.

 

Trotz aller Schwierigkeiten, denen sich Frauen in der Forschung aktuell noch stellen müssen, blickt Boele-Woelki der Zukunft daher positiv entgegen. Für ihr Wirken an der Law School hatte sie sich trotzdem deutlich mehr erhofft: „Ich hatte mir vorgestellt, dass mehr möglich sein würde, und bin darüber natürlich auch ernüchtert.“ Hoffnung machen ihr dennoch die Perspektiven von Alumnae wie Anika Klafki, Gabriele Buchholtz und Friederike Malorny, die ihren Weg in die Wissenschaft mit Juniorprofessuren außerhalb des Hamburger Campus gefunden haben.

 

Ein weiteres Symbol für ein Fortschreiten der Frauen in der Forschung sieht sie im bereits zweiten paritätischen Jahrgang der Hochschulgeschichte, der im Herbst 2022 mit dem Studium begonnen hat: Mehr Absolventinnen führen voraussichtlich zu mehr weiblichen Promovierenden. Mit etwas Geduld könnte sich aus diesen Verhältnissen eine Dynamik entwickeln, die zugunsten einer frauenfreundlicheren Wissenschaftsumgebung ausschlägt.

 

Leit- und Symbolfiguren mit Vorbildfunktion sind dabei entscheidend. Als Beispiel führt Boele-Woelki Jutta Limbach an, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und davor Professorin für Handels- und Gesellschaftsrecht an der FU Berlin. Doch für weibliche Vorbilder müssen Studentinnen nicht einmal über den Tellerrand der Bucerius Law School hinausschauen: Von Anne Röthel über Birgit Weitemeyer bis hin zu Linda Kuschel können sie Motivation durch das direkte Vorleben einer erfolgreichen Wissenschaftskarriere ziehen: „Wenn sie es hinbekommt, Karriere, Familie und Leben generell unter einen Hut zu kriegen, schaffe ich das vielleicht auch!“



Ein Vorbild und ihre Herausforderungen

 

Liebe Frau Boele-Woelki, Sie selbst gibt es als Vorbild auch noch! Diese Funktion erfüllt sie nicht zuletzt durch ihre Zeit als Präsidentin der Law School. Ihr Stichwort für diesen Lebensabschnitt: Herausforderungen.

 

Neben den beiden aufwendigen Akkreditierungsverfahren seit 2016, einem frühen Wechsel des Geschäftsführers in ihrer Amtszeit und der Corona-Pandemie erinnert sie bis jetzt auch an viele positive Entwicklungen und Momente, die sie glücklich stimmen und den Campus mit Freude betreten lassen. Indem sie im Wahlbereich des Schwerpunkts sowie im International Programm unterrichtet, bekommt sie einen Eindruck der Studierendenschaft, der über den der deutschen Bachelorstudierenden hinausgeht. Ihr Auge für die Internationalisierung konnte sie in den vergangenen Jahren für die Akquirierung neuer Partneruniversitäten nutzen: Standorte wie Antwerpen, Amsterdam, Uppsala, Taiwan oder Glasgow führen nicht nur zu einer stärkeren Vernetzung, sondern bieten den Studierenden eine noch größere Auslandswahl. Außerdem konnte sie durch ihre Beteiligung an der Reform des Grundstudiums, EVPs und „Jura Plus“-Programms die Zukunft der Law School maßgeblich beeinflussen. Mit ihrem Abschied im kommenden Jahr stellt sich auch die Frage der Nachfolge, deren Findung sich in vollem Gang befindet.

 

Rückblick auf Bewerbung

 

„Ich wäre nie an eine staatliche Hochschule gegangen.“ Diese Aussage unterschreibt, warum Boele-Woelki sich damals für die Bucerius Law School entschieden hat: Die flachen Hierarchien, der einfache Austausch mit der Verwaltung und die schützende Hand der ZEIT-Stiftung über allem, die weitgehende finanzielle Unabhängigkeit und die akademische Freiheit gewährleistet, haben sie damals überzeugt. Doch wie ist es dazu gekommen, dass sich ihr die Möglichkeit der Präsidentschaft eröffnet hat?

 

Zu Beginn redeten Boele-Woelki und das zuständige Personalunternehmen aneinander vorbei: Während letzteres die Professorin anwerben wollte, fand für sie der erste Austausch mit der Überzeugung statt, sie solle andere Kandidatinnen und Kandidaten vorschlagen. Dass sie selbst in Erwägung gezogen wurde? Zunächst undenkbar. Nach vielen Überlegungen und schlaflosen Nächten traf sie doch die Entscheidung, sich zu bewerben – und wurde belohnt.



Wünsche für die Zukunft

 

Für die Zukunft der Hochschule wünscht sie sich verstärkt Frauen- und Nachwuchsförderung sowie ein Beibehalten der Innovationsfreudigkeit, die unsere Hochschule so auszeichnet. Ob es für die Verfolgung dieser Vorstellungen erneut einer Frau bedarf oder der Innovationsgeist der Nachfolge in der Präsidentschaft wichtiger ist? Als wir diese Frage stellen, entscheidet Boele-Woelki sich ausdrücklich für die zweite Option. Gerade wegen der anstehenden Neubauten und den damit einhergehenden Veränderungen auf dem Campus sowie im Selbstbild der Hochschule sind aus ihrer Sicht Grundsteine für eine spannende und ereignisreiche Zukunft gelegt, die es nun mit einem geeigneten Narrativ zu begleiten gilt.

 

Auch nach der Abgabe der Präsidentschaft möchte Boele-Woelki im Wissenschaftsmanagement tätig sein. In den Jahren nach ihrer Zeit an der Hochschule plant sie, sich als Mitglied des schweizerischen Akkreditierungsrates und als Vorsitzende des internationalen Beirats der Universität Köln insbesondere für die Nachwuchserung einzusetzen.

 

Vor allem an Studentinnen und Alumnae richtet sie zuletzt: „Bleiben Sie mutig und glauben Sie an sich selbst, denn irgendwann werden Sie Ihr Ziel erreichen. Es hängt nicht nur vom eigenen Willen ab. Man muss auch ein bisschen Glück, Geduld und Durchsetzungsvermögen haben.“

 

An die Alumnae und Alumni

 

Einen besonderen Dank mit Hinblick auf die Entwicklung der Hochschule richtet Boele-Woelki an den Alumni-Verein, der als Institution an einer deutschen Hochschule aus ihrer Sicht einmalig ist: „Diese Gemeinschaft und Mitarbeit von so vielen ist einzigartig. Sie engagieren sich nicht nur finanziell, sondern auch mit hervorragenden Ideen für unsere Gemeinschaft. Die Bucerius Law School ohne den Alumni-Verein kann ich mir gar nicht vorstellen!“

 

Ein Tennis-Match mit Schmidt und Co.?

 

In Anbetracht der sportlichen Ausrichtung des diesjährigen GERDs kamen wir nicht umhin, Boele-Woelki nach ihrer eigenen sportlichen Laufbahn zu fragen. Auch wenn sie noch nie von Professor Karsten Schmidt zu seiner berühmten Tennispartie eingeladen wurde, lag ihr diese Sportart immer besonders. Vielleicht klappt es mit einem Match ja noch in ihrem Abschiedsjahr?


Pauline Cruse (Jg. 2019)

Lara Bucholski (Jg. 2015)


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