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Stiftungsmanager, Hochschulmitgründer und Schriftsteller

Michael Göring erzählt, wie er zur ZEIT-Stiftung gekommen ist, was ihn bewegt und was er in Zukunft macht



Michael Göring geht in den Ruhestand. Wir sind im Spätsommer zum Gespräch verabredet. Es ist warm und die Sonne lässt die Rotklinkervilla der ZEIT-Stiftung in der Feldbrunnenstraße in Harvestehude im besten Licht erstrahlen. Ein VW-Käfer kommt angefahren und parkt direkt vor dem Eingang. Aus dem kleinen Auto steigt ein großer Mann. Beide sind fast gleichen Baujahrs. Der Wagen stammt aus Wolfsburg, sein Fahrer hingegen aus Lippstadt, wo Ostwestfalen langsam ins Sauerland übergeht.

 

Auf dem Heck des Fahrzeugs prangt der Aufkleber „Abi 1975“. Vielseitig interessiert, gibt es für Michael Göring nach seinem Schulabschluss keinen klaren Berufsweg. Die Idee seiner Jugend, katholischer Pfarrer zu werden, verwirft er. Ein Philosophie- und Theologiestudium ist ihm als Berufsperspektive zu unsicher. Zur Absicherung nimmt er mit Anglistik und Geografie noch zwei Lehramtsfächer dazu. Durch eine Verpflichtung zum Ersatzdienst für zehn Jahre kann er mit 19 direkt in das Studium starten und wird von der Studienstiftung gefördert. Nach dem vierten Semester geht er nach Großbritannien, dann nach München, danach dank eines weiteren Stipendiums an die Wayne State in Detroit. Dort belegt er das Seminar „Fiction Writing“ und lernt viel über Personenführung im Roman und verschiedene Erzählstile. Am Ende seines Aufenthaltes ist sein erster Roman fertig. Im Laufe seines Lebens verarbeitet er beim – häufig nächtlichen – Schreiben immer wieder persönliche Themen, die ihn umtreiben.



Wir spazieren zu seinem Lieblingschinesen in unmittelbarer Nachbarschaft zur ZEIT-Stiftung. Dort wartet ein reservierter Tisch am Wasserlauf des Yu Garden. Seine erste China-Reise ist schon etwas her. Er war dort mit der Studienstiftung, kurz nach dem Tiananmen-Massaker. Wenige Jahre zuvor hatten ihn Zweifel geplagt, ob die Universitätslaufbahn das richtige für ihn sei. Nach einem Anruf der Studienstiftung bricht er seine Habilitation ab. Die Studienstiftung möchte ihre Auslandsförderung ausbauen und sucht einen Mitarbeiter, der akademische Erfahrung aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten mitbringt. Michael Göring passt auf diese Stelle. Seine Frau – eine Münchenerin – hadert aber zunächst damit. von der Isar „in den hohen Norden“ nach Bad Godesberg umzuziehen. Nach einem Besuch ist klar, so unangenehm ist das Leben jenseits bayrischer Landesgrenzen nicht, und die Familie zieht ins Rheinland.

 

Das Restaurant ist voll. Michael Göring bestellt Ente und als Vorspeise Frühlingsrollen. Während wir auf unser Essen warten, berichtet er von einem weiteren Anruf. Nach fünf Jahren bei der Studienstiftung meldet sich Berthold Beitz, der Vorsitzende des Kuratoriums der Krupp-Stiftung. Beitz sucht einen Abteilungsleiter für die Förderung und fragt, ob er sich vorstellen könne, zu einer privaten Stiftung zu wechseln. Wer Michael Göring auf einer Immatrikulationsfeier erlebt hat, weiß, wie sehr ihn das Konzept einer Stiftung ins Schwärmen bringt. Die Idee, sich ohne staatliches Mandat, ohne Abhängigkeit von tagespolitischen Launen, für die Zivilgesellschaft einzusetzen, gefällt ihm. Michael Göring wechselt in die Villa Hügel. Beitz fordert viel, fördert aber auch.



Beitz ist vom alten Schlag. Niemals darf man sich von anderen abhängig machen. Ein Credo, das heute in der von Partnerschaft geprägten Arbeits- wie Stiftungswelt keinen Anklang mehr finden würde. Von Beitz lernt Michael Göring Pragmatismus. Schnell – und gegebenenfalls falsch – zu entscheiden sei allemal besser als Entscheidungen aufzuschieben und auszusitzen.

 

Mitte der neunziger Jahre erhält Michael Göring wieder einen Anruf. Ein Headhunter ist am anderen Ende der Leitung und berichtet, dass eine Hamburger Stiftung einen Vorstand sucht. Der Name der Stiftung wird ihm nicht offengelegt. Michael Göring bekundet sein Interesse. Es ist jedoch nicht Reemtsma, wie erst vermutet, sondern die ZEIT-Stiftung. Gerade war Gerd Bucerius verstorben und hatte sein Vermögen seiner Stiftung hinterlassen. Im November 1996 wird Michael Göring zum Vorstandsvorsitzenden berufen, muss aber noch sechs Monate bei Beitz verweilen, um seinen Nachfolger einzuarbeiten. Das erste große Projekt der Stiftung wird die Gründung einer privaten Hochschule für Rechtswissenschaft in Hamburg.

 

Inzwischen sind wir beim Cappuccino angelangt. Michael Göring lässt einen Gruß in die Küche und an den Inhaber übermitteln. Wir kommen zurück auf seine Studienwahl zu sprechen und ich frage ihn, warum für ihn ein Jurastudium nicht in Betracht kam, obwohl er später Mitgründer einer rechtswissenschaftlichen Hochschule wurde. Er habe gefürchtet, sich in zu vielen Gesetzestexten zu verzetteln. Hinzu kam, dass sich Rechtswissenschaft zu eng anfühlte. Er meint, wenn er Karsten Schmidt schon früher getroffen und von ihm gelernt hätte, wie man mit Recht gesellschaftlich wirksam arbeiten kann, dann wäre seine Studienwahl vielleicht anders ausgefallen.



Jeder Wechsel von der Universität zur Studienstiftung, von dort zur Krupp-Stiftung und anschließend zur ZEIT-Stiftung, eröffnete für Michael Göring neue Möglichkeiten sich für die Zivilgesellschaft zu engagieren. Neben der Bucerius Law School und dem Kunst Forum sind es Jahr für Jahr rund 100 Projekte, die die ZEIT-Stiftung auf den Weg bringt. Wenn Göring vom Mentorenprogramm WEICHENSTELLUNG für Kinder aus sozial schwächeren Familien berichtet, leuchten seine Augen. Wenn er von den mittlerweile über 100 Preisträgern der Free Media Awards erzählt, stockt er: Die Preise gehen an besonders mutige Journalisten und Journalistinnen aus Russland, Belarus, Ukraine und Aserbaidschan, die für ihre kritischen Artikel in ihrer Heimat oft verfolgt, inhaftiert, gefoltert wurden. „In einer Stiftung lernt man jeden Tag, welch wunderbare Menschen sich für die Demokratie, für Menschlichkeit einsetzen; das macht mir Mut“, sagt Göring.

 

Die Lust auf Neues und sein Interesse am menschlichen Miteinander hat er sich auch privat erhalten: Auf Reisen suchte er Einblicke in die Orthodoxie, besuchte buddhistische wie christliche Klöster und lernte fremde Lebensweisen kennen. Wir sind am Ende des Spaziergangs und wieder bei der ZEIT-Stiftung angekommen. Michael Göring steigt in seinen Käfer und fährt zum nächsten Termin.


Ruben Rehr (Jg. 2010)


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