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Warum wir alle consciously incompetent sein sollten und wie Mooting uns dabei hilft

Juliane Willert zum Scheitern, Ausprobieren beim Mooting und wie man dadurch persönlich wachsen kann



Mooting ist oft die erste und einzige richtige Praxiserfahrung im Studium, in der Studierende auf sich gestellt sind und mit ihrem Team volle Verantwortung für ihren Fall übernehmen. Die Herangehensweise an die Fälle ist wesentlich intensiver, detaillierter und mit deutlich mehr fachlicher Tiefe als im Studium. So werden die Studierenden fachlich und rechtlich zu Experten auf dem Gebiet ihres Falles.

 

Trotz intensiver Vorbereitung verfängt aber manchmal auch das beste Argument nicht. Obwohl die höchstrichterliche Rechtsprechung oder schlicht die Vernunft hinter dem eigenen Punkt stehen, lassen sich Richter:in oder Gegner:in einfach nicht überzeugen. Und manchmal rennt man trotz lang geübter Rhetorik einfach gegen eine kommunikative Wand. An diesem Punkt holt einen dann schmerzlich die Erkenntnis ein, dass Kommunikation eben doch das A und O ist. Das Argument muss auch sprachlich für die Ohren der Beteiligten aufbereitet sein, muss deren kulturelle Wahrnehmung berücksichtigen und den richtigen emotionalen Tonfall treffen.

 

Einerseits lernen die Studierenden diese Kommunikationsfähigkeiten in den zahllosen Trainingssessions. Viel wichtiger – und das leistet nur die Mooting-Erfahrung – wird einem aber immer bewusster, was man eben nicht kann.

 

Als wir mit dem Mediation Team nach zwei intensiven Trimestern Training, vielen Taktik- und Strategiebesprechungen und durch und durch vorbereiteten Fällen in Paris antraten, war einerseits die Freude nach der ersten Verhandlung groß. Andererseits lief wenig nach unserem ursprünglichen Strategieplan. Wir mussten uns spontan auf unsere Gegner einstellen, Fragen standhalten und die richtigen Fragen stellen und neu erlangte Informationen geschickt nutzen. Alles funktionierte im Groben, aber wir wollten sofort in die nächste Verhandlungsrunde starten und es besser machen. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie viel Luft noch nach oben war.

 

Nach so viel Vorbereitung kann das schmerzlich sein, aber eigentlich ist es der entscheidende Moment. Erst hierdurch wurde mir das enorme Entwicklungs- und Lernpotential bewusst und ich war consciously incompetent, nicht mehr unconsciously incompetent wie all die Zeit davor.

 

Ohne die Erfahrung des ewigen Ausprobierens und Scheiterns hätte ich nie herausgefunden, wo genau meine Stärken und Schwächen liegen -  wie ich an der Herausforderung wachsen kann. Ich wäre eben unbewusst inkompetent geblieben. Erst diese bewusste Inkompetenz, die die zahllosen eigenen Erfahrungen beim Mooting auslösen, birgt das Potential, wirklich besser zu werden.

 

Mooting schult und lehrt also nicht nur Kommunikations- und argumentative Fähigkeiten, sondern erlaubt uns – consciously incompetent – unser Potential für Fortschritt und Entwicklung zu erkennen und früher oder später consciously competent zu werden.


Juliane Willert ist Alumna des Jahrgangs 2015 und hat im April ihr Referendariat in Hamburg begonnen. Zusammen mit Leonie Lentner betreut sie außerdem als wissenschaftliche Mitarbeiterin das vom Bucerius Alumni-Verein gegründete Mooting Center der Bucerius Law School.


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