· 

Mit Schirm, Charme und Visionen

Interview mit der Präsidentin



„Da denken Sie an mich?“ Mit dieser spontanen Äußerung reagierte Professor Dr. Dr. h.c. mult. Katharina Boele-Woelki auf die erste Kontaktaufnahme der Bucerius Law School. In der Tat hat die Bucerius Law School nach der Ernennung von Professor Dr. Doris König, M.C.L. zur Bundesverfassungsrichterin an die weltweit renommierte Familienrechtlerin als ihre neue Präsidentin gedacht. Wie es dazu kam, wie sich die Hochschule aus ihrer Sicht entwickeln sollte und ob sie schon mit Karsten Schmidt in der Oper war, erzählt Boele-Woelki den Alumni exklusiv im GERD-Interview.

 

Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal als mögliche Präsidentin der Bucerius Law School angefragt wurden?

 

Im ersten Moment habe ich gar nicht an mich selbst gedacht. Ich befand mich gerade in Wien, wo mich die Teilnehmer für Rechtvergleichung zu ihrer Präsidentin gewählt haben, als ich im Juli 2014 eine erste E-Mail bekam. Ich ging davon aus, ich solle Namen möglicher Kandidaten nennen, da ich viele meiner Kollegen im In- und Ausland kenne. Als ich wenig später mit der externen Findungskommission telefoniert habe, war mein erster Satz: „Denken Sie an mich?“ Als dies bestätigt wurde – das war ein besonderer Moment.

 

Haben Sie zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich über einen Wechsel an eine deutsche Hochschule nachgedacht?

 

Nein, ich war überhaupt nicht aktiv auf der Suche nach einer anderen Stellung. Ich hatte in Utrecht eine schöne Aufgabe, ich hatte alle Freiheiten und alle Möglichkeiten. Die Überlegung, nach Deutschland zu gehen, und dann auch noch an die Bucerius Law School, das kam wie aus heiterem Himmel.

 

Wann wurde Ihnen mitgeteilt, dass die Bucerius Law School sich für Sie als Präsidentin entschieden hat?

 

Das war am 27. März 2015. Ich war gerade in Südafrika. Ich kann mich an den Moment noch gut erinnern, als ich angerufen wurde – ich saß mit meinem Mann im Auto.

 

Ist Ihnen die Entscheidung, „Ja“ zu Hamburg und der Bucerius Law School zu sagen, leicht gefallen?

 

Leider kann ich das nicht sagen. Ich war so verwurzelt in den Niederlanden, habe dort so lange gelebt – das hat mich schon schlaflose Nächte gekostet.

 

Ist es für Sie etwas Besonderes, dass Sie nach Professor König nun als zweite Frau in Folge an der Spitze der Hochschule stehen oder ist es vielmehr eine Selbstverständlichkeit?

 

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Ich denke, dass es bei der Auswahl nicht um das Geschlecht ging. Es ging mehr um Visionen, um die Fähigkeit zu leiten und auch darum, internationale Erfahrung einzubringen.

 

Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen.“ Trifft das auf Sie zu?

 

Dass ich zum Arzt muss? Ich bin schon zweimal hier beim Arzt gewesen. Aber wegen einer Erkältung und nicht wegen meiner Visionen. Ich denke schon, dass man einen Plan haben muss. Für das Wort Visionen kann man viele andere Begriffe und Formulierungen verwenden: Was wollen wir erreichen? Welche Ziele setzen wir uns? Wie sieht die Bucerius Law School 2020 aus? Wenn man es so beschreibt, muss man nicht zum Arzt.

 

Wo sehen Sie die Bucerius Law School in fünf Jahren?

 

Ich würde gern die Forschung sichtbarer machen. Ich bin der Meinung, dass wir uns viel besser präsentieren können, viel markanter mit einem deutlichen Profil.

 

Wie schätzen Sie den Bereich der Lehre ein?

 

Ich denke, dass wir uns im Umbruch befinden. Die Digitalisierung der Lehre ist das zentrale Zukunftsthema. Hier mit der Zeit zu gehen ist eine große Herausforderung, die ich nicht allein bewältigen kann.

 

Neben der Tätigkeit als Präsidentin werden Sie auch lehren und haben den Claussen-Simon-Stiftungslehrstuhl für Rechtsvergleichung inne. Welche Rolle spielt die Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung und welche Rolle sollte sie spielen?

 

Das ist ein weites Feld. Teilweise wird diskutiert, ob wir nicht alle Fächer rechtsvergleichend unterrichten sollten. Meiner Ansicht nach ist dies nur beschränkt möglich. Die echte Rechtsvergleichung ist eine wissenschaftliche Tätigkeit, die Zeit, Sprachkenntnisse und Aufenthalte im Ausland erfordert. Das ist schwer in den täglichen Unterricht zu integrieren. Aber Rechtsvergleichung ist eine wichtige Methode der Rechtsfindung und eröffnet neue Horizonte.

 

Wollen Sie die Rechtsvergleichung an der Bucerius Law School ausbauen?

 

Rechtsvergleichung ist bereits an einigen Lehrstühlen ein Thema. Immerhin absolvieren alle Studenten ein Auslandstrimester und durchlaufen ein intensives Sprachenprogramm. Der Lehrboden ist also ideal. Die Bereitschaft, über die Grenzen hinwegzusehen, ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt.


 Was waren Ihre ersten Eindrücke von der Bucerius Law School?

 

Das mündliche Auswahlverfahren des Jahrgangs 2015 war mein erster längerer Aufenthalt auf dem Campus, er hat mich sehr beeindruckt: Das Auswahlverfahren ist so hervorragend organisiert, so breit angelegt und so intensiv. Das hatte ich so noch nicht erlebt.

 

Und wie sind Ihre ersten Eindrücke von den Studenten und den Mitarbeitern an der Hochschule?

 

Alle, mit denen ich rede, sind sehr stolz darauf, hier zu studieren und zu arbeiten. Ich spreche ausdrücklich auch von Verwaltungsmitarbeitern und nicht nur von Professoren. Und gerade im Bereich der Verwaltung finde ich es sehr positiv, dass den Mitarbeitern viel Raum für Eigenverantwortung gelassen wird.

 

Konnten Sie die Professorenschaft schon kennenlernen?

 

Ja, ich habe mich mit jedem einzelnen Professor und den drei Professorinnen der Hochschule zu einem längeren Gespräch getroffen. Die Professoren und Professorinnen haben letztlich den Ausschlag gegeben, dass ich hierher gekommen bin. Alle sind bereit mitzuarbeiten und sehen auch, dass nun – 15 Jahre nach Aufnahme des Studienbetriebs – eine Art Neuorientierung nötig und möglich ist. Darüber bin ich sehr froh.

 

Sehen Sie es als Vorteil an, von außen mit einem offeneren Blick auf die Hochschule zu blicken?

 

Es ist so, wie es ist. Vielleicht stelle ich manchmal Fragen, die keiner mehr stellt. Aber ich habe auch den Nachteil, dass ich vieles nicht weiß. Ich kenne Diskussionen nicht, die schon gelaufen sind. Aber alle sind offen und bereitwillig, Prozesse zu erklären und zu hinterfragen.

 

Bislang haben Sie Ihre berufliche Karriere im Ausland verbracht. Was läuft an ausländischen Hochschulen besser als an deutschen?

 

Was ich in den Niederlanden kennengelernt habe und als sehr positiv empfinde, ist zunächst einmal ein Graduiertenkolleg für Doktoranden. Ich bin froh darüber, dass das strukturierte Promovieren jetzt auch an der Bucerius Law School auf der Tagesordnung steht. Aus dem Ausland kenne ich außerdem eine weniger verkrampfte Haltung in Bezug auf die eigene Forschung. Da ist einiges viel offener. Jeder kennt alle Promotionsthemen und die Arbeiten werden auch elektronisch öffentlich zugänglich gemacht.

 

Warum sind Sie während Ihrer Promotion in die Niederlande gezogen?

 

Ich bin mit einem Niederländer verheiratet. Er hat ein Unternehmen in den Niederlanden und das konnte nicht verlegt werden. Deshalb sind wir dort geblieben und später sind dort auch meine drei Töchter geboren.

 

Wie verteilt sich Ihr Leben im Moment zwischen den Niederlanden und Hamburg?

 

Etwa 80 % der Zeit bin ich in Hamburg und am Wochenende in Rotterdam. So wird das auch bleiben. Ich habe hier in Hamburg eine Wohnung in der HafenCity.

 

Was vermissen Sie in den 80 %, in denen Sie in Hamburg sind, am meisten an den Niederlanden?

 

Die Menschen, mit denen ich jahrelang zusammengearbeitet habe. Aber ich mache jetzt so viele andere Sachen, da habe ich kaum einen Moment zum Nachdenken.

 

Hatten Sie andersherum schon Gelegenheit, Hamburg kennenzulernen? Waren Sie schon mit Karsten Schmidt in der Oper?

 

Nein, ich war noch nicht mit ihm in der Oper. Ich bin erstaunt darüber, dass er jede Woche mindestens einmal eine kulturelle Veranstaltung besucht. Das bewundere ich.

 

Der Alumni-Verein hat auch eine Kooperation mit der Hamburger Staatsoper. Wir laden Sie bei nächster Gelegenheit sehr gern zu einem gemeinsamen Besuch mit Alumni ein. Sind Sie bislang schon in Kontakt mit Alumni gekommen?

 

Jan Wildhirth treffe ich regelmäßig bei unterschiedlichen Anlässen. Auch den China-Experten Stephan Kuttner habe ich schon kennenlernen dürfen. Im Vorfeld meiner Shanghai-Reise in diesem Herbst hat er mich viele gute Tipps und Hinweise geben können. Diese Reise war im Übrigen auch der Grund, warum ich leider nicht zu Ihrem Alumni-Dinner kommen konnte. Das Schöne ist, dass ich Alumni bei den verschiedensten Gelegenheiten treffe. Gesehen habe ich viele Alumni auch bei der großartigen „Schirming“-Aktion, die zeigt, wie gut die Stimmung unter den Alumni ist.

 

Was interessiert Sie, wenn Sie mit Alumni ins Gespräch kommen?

 

Ich denke, wirklich alles. Was sie jetzt machen. Warum sie das machen. Wie ihre Erfahrungen als Studierende waren und welche Gedanken sie sich für die Zukunft machen. Von all dem können wir profitieren.

 

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den Alumni in den Niederlanden kennengelernt?

 

Also, einen so engen Kontakt mit den Alumni kannte ich bislang nicht. Bei den Alumni dort handelte es sich um ältere Absolventen. Die jungen Absolventen engagieren sich eher nicht. Das ist sehr schade, weil ich glaube, dass sie einige Dinge wie zum Beispiel Gelassenheit viel besser vermitteln können als wir als Professorinnen und Professoren oder als Hochschulleitung. Ich meine, man hört doch viel eher auf seine Geschwister oder Freunde als auf seine Eltern.

 

In welchen Bereichen können die Alumni die Hochschule am besten unterstützen?

 

Da gibt es so viele Bereiche, die man aufzählen könnte, und Sie wissen das noch viel besser als ich. Auf jeden Fall ist der Bereich der Lehre prädestiniert, weil die Alumni hier sehr dicht dran sind. Spannend ist auch, dass sie ganz viele individuelle Meinungen und Ideen einbringen – sie sind ja keine politische Fraktion, die ein bestimmtes Programm hat. Diese Vielschichtigkeit und Breite sind sehr wertvoll.

 

Bringen sich die Alumni im Moment genügend ein?

 

Ja, sie setzen viele wichtige Zeichen. Ich denke, die Alumni unterschätzen vielleicht, welch besonderen Beitrag sie beispielsweise im Bereich der Forschung durch ihre finanzielle Unterstützung der Ringvorlesung „Autonomie im Recht“ erbringen. Die Initiative wird durch die Alumni sichtbar und das kann sehr wichtige Folgen haben. Diese Unterstützung einer Vision einer Forschungsinitiative, die sich zu einem Graduiertenkolleg entwickeln kann – das ist eine besonders gute Aktion.

 

Dem Alumni-Verein ist es ein Anliegen, die Hochschule nicht nur finanziell zu unterstützen, sondern vor allem thematisch Impulse zu setzen. Das gilt auch für die Einrichtung des Videostudios durch die Alumni im vergangenen Jahr.

 

Das alles zeigt uns, wie viel den Alumni an der Hochschule liegt, und wird von uns sehr geschätzt.



Als Ende des Interviews haben wir für Sie einige Satzanfänge vorbereitet, die Sie bitte für uns vervollständigen mögen.

 

Wenn ich morgens den Campus betrete… bin ich sehr glücklich, dass ich hier arbeiten kann.

 

Dass Professor Doris König zur Richterin am Bundesverfassungsgericht ernannt wurde, ist für das Renommee der Bucerius Law School… wahnsinnig gut.

 

Das Trampolin auf dem Campus… habe ich noch nicht benutzt.

 

Der Bucerius Alumni-Lehrpreis „Platzhirsch“ ist… eine großartige Initiative und gehört beinahe schon Herrn Faust.

 

Wenn Professor Michael Fehling mich zum Tennis herausfordert… müsste ich dringend etwas trainieren – aber ich glaube, dass Herr Schmidt ein noch besserer Gegner wäre.

 

Wenn ich im Sommer in der Mittagspause die Studenten auf dem Campus sehe, denke ich: So schön habe ich es nie gehabt.

 

Meine schönste Erinnerung an meine Studienzeit ist… die Arbeit in meiner selbst organisierten Kleingruppe vor dem Ersten Staatsexamen.

 

Von den Alumni wünsche ich mir… eine kritische Haltung.



Professor Dr. Dr. h.c. mult. Katharina Boele-Woelki

  • Geboren 1956
  • Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen und an der FU Berlin
  • 1982 Promotion an der FU Berlin
  • 1995 bis 2015 Professorin für Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Familienrecht an der Universität Utrecht, Niederlande
  • 2007 außerplanmäßige Professorin an der University of the Western Cape in Kapstadt, Südafrika
  • Präsidentin der International Academy of Comparative Law (seit 2014), Mitglied des International Advisory Board der Alexander von Humboldt-Stiftung (seit 2013), Vorsitzende der Commission on European Family Law (seit 2001), Gründerin des Utrecht Centre for European Research into Family Law (2007), Präsidentin der Niederländischen Vereinigung für Familienrecht und Mitglied des Vorstands der Niederländischen Vereinigung für Rechtsvergleichung (bis 2014)
  • 2012 bis 2017 Anneliese Meier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung
  • Ehrendoktorwürdenträgerin der Universitäten Uppsala, Schweden und der Universität Lausanne, Schweiz
  • Gastprofessorin an der Columbia University, New York, USA
  • Mitherausgeberin von verschiedenen niederländischen, südafrikanischen und europäischen Fachzeitschriften
  • Seit dem Herbsttrimester 2015 Präsidentin der Bucerius Law School und Claussen-Simon-Stiftungsprofessorin für Rechtsvergleichung an der Bucerius Law School

Nina Marie Güttler (Jg. 2003)

Martin Hejma (Jg. 2004)


Kommentar schreiben

Kommentare: 0